Kleine Geschichte der TCM
Mit dem Erscheinen des Huangdi Neijing (Inneren Klassikers des Gelben
Fürsten), eines Gründungswerkes, wird die Geburtstunde der traditionellen
Heilweise Chinas auf 200 Jahre vor Christus datiert.
Diese Lehre entwickelte sich zu einem hochleistungsfähigen Heilsystem,
erlebte durch die Jahrtausende Blütezeit und Niedergang, wurde jedoch in den
Fünfziger Jahren des 20. Jahrhunderts in China aus der drohenden
Vergessenheit gerettet. Heute ist die Traditionelle Chinesische Medizin
nicht zuletzt dank deutscher, französischer und amerikanischer Ärzte und
Sinologen auch in China eine weitgehend gleichberechtigte Heilweise neben
der westlichen, kausal-analytischen Medizin.
Wie arbeitet ein TCM-Therapeut?
Wo die westliche, kausal-analytische Medizin für eine Krankheit eine
isolierbare Ursache zu benennen und auszuschalten versucht (wie z.B. einen
Erreger oder eine giftige Substanz), betrachtet die chinesische Medizin jede
Krankheit als ein Muster von Disharmonien, eine Konstellation vieler
Phänomene in und um den Patienten. Dies ermöglicht eine weitaus
individuellere Betrachtung seines Krankseins.
So gibt es im Sinne des TCM nicht nur eine Magenschleimhautentzündung, etwa
durch das Mikrobium Campylobacter pylori verursacht, sondern es gibt hier
einen Patienten mit einem Hitze-Muster (“Feuchte-Hitze der Milz”), da einen
Patienten mit einem Kälte-Feuchtigkeits-Muster (“Yang-Leere der Milz”), da
wieder einen Fall von “Qi-Blockade der Leber”. Jeder der drei Patienten
zeigt bei selber “westlicher” Diagnose doch individuelle Empfindungen,
Begleitsymptome und Modalitäten seiner Beschwerden. Nach der traditionellen
chinesischen Heilkunst führt die phänomenologische, synthetische
Interpretation der Krankheitszeichen zusammen mit der Puls- und der
Zungendiagnostik zu einer individuellen Diagnose und damit zu einer
individuellen Therapie der Gastritis.
Dem TCM-Therapeuten stehen für seine Behandlungen nicht nur die Akupunktur
zur Verfügung, sondern auch basierend auf das Heilsystem eine umfangreiche
Pharmakopoe aus pflanzlichen, mineralischen und tierischen Arzneien.
Die
Pharmakopoe von Shen Nong, Shen Nong Gan Cao, gilt als das älteste Arzneimittelbuch Chinas (um
200 v.C). Einer Legende zufolge, soll Shen Nong, der vermeintliche Autor des
Buches, über 100 Pflanzen gekostet haben, worauf er seine Erfahrungen
schriftlich niederlegte. Das Kompendium führt 365 Arzneimittel auf, die
hierarchisch in drei Klassen von Arzneidrogen gegliedert waren: sehr
wertvolle Arzneidrogen, die Tonika; eine mittlere Klasse von Arzneidrogen,
eine Mischung aus Tonika und Heilpflanzen zur Bekämpfung von Krankheit, und
eine unterste Klasse von Arzneimitteln, die ausschließlich zur Ausleitung
von Krankheitsfaktoren eingesetzt wurden. Diese Klassifizierung gibt
Aufschluss über das Verständnis von der Aufgabe der Heilkunde in der
damaligen Zeit, das bis in die Gegenwart Gültigkeit hat: Nicht die
Bekämpfung der Krankheit bzw. des Krankheitserregers hatte den größten
Stellenwert, sondern die Erhaltung von Gesundheit und Vorbeugung von
Krankheit. Noch etwas können wir daraus ableiten: Die Auffassung, dass
bestimmte Drogen nicht allein auf physischer Ebene wirkten und den
Organismus von Krankheitsfaktoren befreiten, sondern dass sie dem Körper
außerdem körperliche und geistige Nahrung zuführten.
Im
16. Jahrhundert war die chinesische Pharmakopoe schon auf 2000 Arzneimittel
angewachsen und wer heute Gelegenheit hat, nach China zu reisen, kann an den
Universitäten für TCM in Chengdu bzw. in Beijing Sammlungen von an die 4000
Arzneimittel bewundern.
Ein großer Teil der alten Arzneimittel
wird auch heute noch in der Therapie verwendet, auch gestützt von den
Erkenntnissen der modernen pharmakologischen Forschung.
Natürlich kommen heutzutage in einer
Praxis in Westeuropa nicht annähernd so viele Arzneimittel zum Einsatz -
ungefähr 300 kommen in den gebräuchlichsten Rezepten vor. Die zunehmende
Sensibilisierung für den Artenschutz bei tierischen und pflanzlichen
Arzneimitteln, Erkenntnisse über toxische Wirkungen, aber auch ganz einfach
die Kostenfrage sind einige der Faktoren, die bei der Auswahl eine Rolle
spielen.
Ein Therapeut, der innerhalb der
traditionellen chinesischen Medizin arbeiten will, stößt mit den
Möglichkeiten, die die Akupunktur bietet, an therapeutische Grenzen. Die
Kombination mit Arzneimitteln erweitert ungemein seine
Behandlungsmöglichkeiten. Dann ist die Kombination mit Arzneimitteln, deren
Wirkungsspektrum durch jahrtausendlange klinische Erfahrung bekannt ist, nur
eine logische Konsequenz daraus, zumal sie auf demselben theoretischen
Fundament aufbauen. Wer eine Diagnostik im chinesischen Sinne erstellt,
weiß, wie er therapeutisch vorgehen muss, ob ausleitend oder tonisierend,
kühlend oder erwärmend oder zu welchen inneren Organen (Funktionskreisen)
oder Meridianen der Effekt geleitet werden muss. Ein Rezept, das diese
therapeutischen Wirkungen tatsächlich aufweist, passt dann wie der Schlüssel
zum Schloss. Mit anderen Worten, die chinesische Pharmakologie ist das
ideale Komplement innerhalb einer umfassenden Therapie im Bereich der TCM.
Text und Bilder von:
Isabelle Guillou
Heilpraktikerin
Schulleiterin der Allgemeinen Berufsakademie für Heilpraktiker
Handjerystr. 22
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Tel 030-8516838
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