Die Polyneuropathie ist eine Erkrankung des gesamten äußeren
Nervensystems. Die Nervenenden oder ihre Ummantelungen (die Myelinscheiden)
werden allmählich zerstört, Empfindungsstörungen und Bewegungsprobleme in
den Extremitäten sind die Folge. Was sich anfangs als Kribbeln oder
Taubheitsgefühle in den Zehen oder Fingerspitzen bemerkbar macht, kann sich
zu schweren Bewegungsstörungen entwickeln. Typischerweise treten die
Störungen an den Stellen auf, an denen man normalerweise Socken oder
Handschuhe trägt.
Anfänglich wird die Erkrankung oft nicht ernst genommen, ein Kribbeln
oder Taubheits- oder Kältegefühl im kleinen Zeh etwa wird mit einem
Achselzucken abgetan. Bei Fortschreiten der Erkrankung treten die
Sensibilitätsstörungen meist symmetrisch in den unteren Extremitäten auf, es
kommt zu unsicherem oder auch schmerzhaftem Gehen und Stehen, die Zehen
scheinen nicht mehr richtig zu funktionieren. Das Zudecken der Füße mit dem
Bett kann als schmerzhaft empfunden werden, obwohl sich alles normal
anfühlt, wenn man sich z.B. selber auf die Zehen tritt.
Die Feinmotorik in den Fingern kann gestört werden, Gegenstände entgleiten
scheinbar grundlos.
Was anfänglich als „Gehen wie auf Watte“ beschrieben wird, kann sich zu
schwersten Koordinationsstörungen entwickeln, da die Rückleitung der
Nervenimpulse an das Gehirn beeinträchtigt ist. Bei weiterem Fortschritt der
Polyneuropathie kann das vegetative Nervensystem betroffen werden, es kann
zu gestörter Schweißabsonderung mit Geschwürbildung kommen, die Entleerung
von Darm und Blase kann gestört werden, Potenzstörungen und Muskelatrophien
können auftreten.
Die Polyneuropathie ist keine eigenständige Erkrankung, sondern eine Folge
anderer Krankheiten. Etwa die Hälfte aller Fälle haben zu gleichen Teilen
Diabetes mellitus und Alkoholmißbrauch als Ursache, den Rest teilen sich
Nierenerkrankungen, Umweltgifte, Borreliose, Medikamenteneinnahme und
rheumatische Erkrankungen.
Die Prognose richtet sich nach der Grunderkrankung. Je schneller diese
erkannt und behandelt wird, desto besser sind die Aussichten auf eine
völlige Heilung.
Bei diabetischer Polyneuropathie müssen die Blutzuckerwerte exakt
eingestellt werden, bei einer infektiösen Polyneuropathie müssen Antibiotika
gegeben werden, bei einer alkoholischen Polyneuropathie ist eine sofortige
und bedingungslose Abstinenz am Wichtigsten. Diese kann für den Patienten
äußerst schwierig sein und ärztlicher und psychologischer Hilfe bedürfen.
Die Rückfallquote bei Alhoholentzug ist hoch.
Die alkoholische Neuropathie dürfte am einfachsten zu diagnostizieren sein,
der Patient weiß, was er trinkt, wenn er es auch oft herunterspielt. „Ein
paar Schnäpschen“ kann gut und gerne eine Flasche Wodka bedeuten. Dabei
kommt es nicht in erster Linie auf die Menge des Alkohols an, sondern auf
dessen regelmäßigen Konsum. Ein Bier am Freitag und drei Gläser Wein am
Mittwoch verursachen in der Regel keine Polyneuropathie, bei täglich zwei
Bier zum Frühstück sieht die Sache anders aus. Vor allem, wenn mittags noch
eins dazukommt und dann abends vor dem Fernseher nochmal drei, und das
jahrelang. Ganz abgesehen vom Genuss stärkerer Spirituosen.
Medikamente zur zuverlässigen Besserung der Polyneuropathie gibt es nicht,
es können allenfalls Symptome gemildert werden. Dauerhafte Besserung bringt
nur eine erfolgreiche Therapie der Grunderkrankung. Die Naturheilkunde
kann je nach Fall wertvolle Beiträge leisten. Ziel ist, die Durchblutung zu
fördern und die Selbstheilungskräfte des Körpers zu aktivieren.
Warm-kalte Wechselduschen an den betroffenen Gliedmaßen steigern die
Blutzufuhr, ebenso wie das aus der Kneipp-Kur bekannte „Wassertreten“. Wer
es sich ermöglichen kann, für den können wadenhohe Spaziergänge im (nicht
am) See- Fluss- oder Meeresufer hilfreich sein. Sanfte Bürstenmassagen
verbessern die lokale Durchblutung.
Mistel- und
Ginkgopräparate können die Mikrozirkulation
verbessern, Salben mit Johanniskraut können bei Nerven- und Phantomschmerzen
aufgetragen werden. Es gibt Heilpflanzen, denen eine „schwach
antidiabetische“ Wirkung nachgesagt wird, etwa die
Gartenbohne oder die Blätter der
Heidelbeere.
In der
Homöopathie wird zu folgenden Mittel
geraten:
Arsenicum album, bei Pelzigkeitsgefühlen
oder brennenden Schmerzen
Nux vomica, die Brechnuss, bei
Empfindungslosigkeit in den Gliedern als Folge von Alkoholmissbrauch
Secale cornutum, das Mutterkorn, zur
Durchblutungsförderung
Agaricus muscarius, der Fliegenpilz, bei
Kribbeln („Ameisenlaufen“)
Empfehlenswert ist auch eine erhöhte Zufuhr von B-Vitaminen (vor allem B1),
die eine gute Wirkung bei neuralgischen Beschwerden zeigen. Zur Besserung
von Sensibilitätsstörungen wird oft eine Therapie mit Alpha-Liponsäure (z.B.
Thioctacid) angewandt.
Bei einer optimalen Therapie über Wochen bis Monate können sich die Symptome
langsam zurückbilden, eine völlige Wiederherstellung ist aber nicht immer
garantiert und hängt auch vom Alter des Patienten ab.
© 2013 Robert Adé